"Ich wollte nur zur Arbeit": Verstoß gegen die Ausgangssperre oder auf dem Weg zur Arbeit? (Update)
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Von Holger Buchwald
Heidelberg. Marco Stevens ist verunsichert und sauer. Der Grund: In der Nacht auf Montag wurde er von der Polizei gegen 23.30 Uhr in der Lessingstraße kontrolliert und wegen Verstoßes gegen die Corona-Verordnung angezeigt. Aus Sicht der Beamten soll er gegen die nächtliche Ausgangssperre verstoßen haben. Stevens aber widerspricht: "Ich wollte nur zur Arbeit fahren." Er sei mit einem Auto mit roten Überführungskennzeichen unterwegs zu seiner Kfz-Werkstatt beim ehemaligen Autohaus Joncker in der Hebelstraße gewesen. "Ich muss nachts arbeiten, um meine Aufträge fertig zu bekommen", sagt der 30-Jährige, schließlich müsse er sich tagsüber um seinen anderthalbjährigen Sohn kümmern – in der Zeit, in der seine Frau als Leiterin in einem Kindergarten arbeite.
Laut Corona-Verordnung ist der Weg zur Arbeit ein "triftiger Grund", der eine Ausnahme von der nächtlichen Ausgangssperre zwischen 20 und 5 Uhr rechtfertigt. Daher fühlte sich Stevens im Recht. Doch die Beamten des Polizeireviers Mitte glaubten dem jungen Familienvater seine Geschichte nicht, obwohl er seine Gewerbeanmeldung dabei hatte, und befahlen ihm offenbar, wieder nach Hause zu fahren.
Anstatt zu seiner Wohnung im Pfaffengrund zu fahren, setzte Stevens seinen Weg in Richtung Südstadt fort, die Beamten folgten ihm und kontrollierten ihn, als er das Auto im Wohngebiet abgestellt hatte, ein zweites Mal. Auf die Frage, warum er dort anhalte, sagte der 30-Jährige, dass hier seine Frau und sein Kind wohnten. Für die Polizisten war dies ein Grund, ihn ein zweites Mal anzuzeigen. Denn laut Corona-Verordnung darf man auch nach 20 Uhr nicht mehr das Haus verlassen, um seine Partnerin zu besuchen. Nur wenn man von der Arbeit kommt, ist dies erlaubt.
Stevens legte gegen die beteiligten Beamten inzwischen Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Da es sich um ein laufendes Verfahren handele, könne er sich nicht im Detail zu dem Vorfall äußern, sagte ein Polizeisprecher auf RNZ-Anfrage. Laut dem Vorkommnisbericht der beteiligten Beamten habe es aber "erhebliche Zweifel an der Plausibilität" von Stevens Äußerungen gegeben. "Wir haben die Anzeige weitergegeben und auch die Dienstaufsichtsbeschwerde aufgenommen", so der Polizeisprecher weiter.
Die Plausibilitätsprüfung sei bei der Kontrolle der Ausgangssperre unumgänglich, so der Polizeisprecher. Und normalerweise gebe es auch keine Probleme. Die Menschen in der Region hielten sich in den vergangenen Nächten weitestgehend an die Regeln. In der Nacht auf Dienstag seien im Bereich des Polizeipräsidiums Mannheim 380 Fahrzeuge und 615 Personen nachts kontrolliert worden. "Die meisten, die wir angehalten haben, hatten einen triftigen Grund, das Haus zu verlassen, es waren Beschäftigte der Kliniken." Nur 30 Mal habe man Verstöße gegen die Ausgangssperre festgestellt. In der Regel beließen es die Beamten aber bei einer freundlichen Ermahnung. "Es gab nur drei Anzeigen."
Besuch der Partnerin nach 20 Uhr erlaubt
Im Fall des 30-Jährigen vom Montag lief offenbar einiges schief, was auch an der zunächst undurchsichtigen und sich ständig verändernden Rechtslage liegen könnte.
Das Problem: Der Besuch des Partners oder der Partnerin ist laut der aktuellen Corona-Verordnung, die seit Mittwoch in Kraft ist, auch nach 20 Uhr noch erlaubt. In der Vorgänger-Regelung hingegen, die seit vergangenem Samstag galt, hieß es noch am Dienstagnachmittag auf der Internetseite des Staatsministeriums Baden-Württemberg, dass der Besuch des Partners oder der Partnerin nur erlaubt sei, wenn man von der Arbeitsstelle komme und praktisch auf den Nach-Hause-Weg sei. So stand es unter der Rubrik "Fragen und Antworten zur nächtlichen Ausgangssperre" und davon ging auch die Polizei aus. Eine konkrete Ausformulierung dieser Interpretation findet sich jedoch in der Verordnung selbst nicht.
"Die Fragen und Antworten sind eine Übersetzung der eigentlichen Verordnung", sagte ein Sprecher des Staatsministeriums auf Anfrage. Die Seite sei erst am späten Dienstagabend um 23 Uhr in ihrer jetzigen Form aktualisiert worden. Inzwischen ist für alle klar, dass der Besuch der Partnerin ebenso wie der Weg zur Arbeit ein "triftiger Grund" ist, um auch nach 20 Uhr ganz legal das Haus zu verlassen. Gut möglich also, dass die Anzeigen gegen den Familienvater eingestellt werden.
Unterdessen beschwichtigte ein Polizeisprecher, dass solche Probleme mit der Corona-Verordnung die absolute Ausnahme seien. In der Regel stellten die Beamten bei ihren nächtlichen Kontrollen nur sehr wenige Verstöße gegen die Ausgangssperre fest.
In der Nacht auf Mittwoch wurden im gesamten Bereich des Polizeipräsidiums Mannheim, das auch für Heidelberg zuständig ist, demnach 450 Fahrzeuge und insgesamt 640 Personen kontrolliert. Dabei stellten die Polizisten aber nur 28 mutmaßliche Verstöße fest. In all diesen Fällen beließen sie es bei einer Ermahnung. Es gab laut Polizeisprecher in dieser Nacht keine einzige Anzeige.
Update: Mittwoch, 16. Dezember 2020, 20.15 Uhr