J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Meine Freundin und ich ziehen bald zusammen. Ich habe richtig kalte Füße. Ist das Bindungsangst?
Worauf lässt man sich ein, in welcher Hinsicht kann man zurückstecken? Das Zusammenziehen kann Angst machen. Doch, wie immer, weiß Julia Peirano, was zu tun ist.
Hallo Frau Peirano,
ich (m, 34) komme mir etwas albern vor, weil ich ja eigentlich riesiges Glück habe und viele Personen sicher gerne mit mir tauschen würden. Aber ich fühle das Glück nicht so, sondern habe gerade eher Angst vor mir selbst und dem nächsten Schritt. Alle Freunde (und meine Freundin) sagen mir, dass ich Bindungsängste habe.
Ich bin seit drei Jahren mit meiner Freundin zusammen. Sie ist eine tolle Frau und im Großen und Ganzen verstehen wir uns sehr gut. Sie ist 31 und möchte langsam mal "Nägel mit Köpfen" machen. Sie hat immer wieder das Thema Zusammenziehen angesprochen, was ja wegen der Mietersparnis wirklich sinnvoll ist, auch wegen der Wege, dem Ankommen, der Aussicht auf Kinder.
Ich habe eingewilligt und wir ziehen in drei Monaten in eine schöne 3-Zimmer-Wohnung. Ich weiß auch nicht genau, was los ist, aber ich habe seitdem Angst davor, dass es nicht klappt. Ich bin distanziert, obwohl ich das nicht will und suche wegen Kleinigkeiten Streit. Dann habe ich lange nachgedacht und muss immer wieder an meine letzte Beziehung denken. Ich habe mit meiner Ex-Freundin zusammengewohnt und es ist komplett in die Hose gegangen.
Sie hat geklammert und wollte immer wissen, wo ich bin und wann ich nach Hause komme. Sie hat sich beschwert, dass ich nicht so viel Zeit mit ihr verbringe, und sie hat alles dominiert. Ihre Mutter und ihre Freundinnen gingen bei uns ein und aus, sie hat die Wohnung in so einem kitschig-blumigen Stil eingerichtet und viele Regeln aufgestellt. Ich habe mich überhaupt nicht wohlgefühlt und bin nach einem knappen Jahr wieder ausgezogen.
Das läuft jetzt alles besser. Aber meine jetzige Freundin nervt mich in einem Punkt: Sie hat einen kleinen Hund (Mops), der schon etwas älter ist und stinkt. Sie verhätschelt diesen Hund und er darf überall hin, zum Beispiel auf dem Sofa sitzen, im Bett liegen. Das darf er jedenfalls in ihrer Wohnung. Ich finde das abstoßend, auch wenn ich das bisher aus Rücksicht noch nicht so ausgesprochen habe. Ich kann mir vorstellen, dass das zum Problem wird.
Was raten Sie mir?
Viele Grüße
Julian V.
Lieber Julian V.,
ich kann Sie in einem Punkt beruhigen: Die meisten Menschen haben Bindungsängste. Auch diejenigen, die sich voll und ganz auf einen Partner/eine Partnerin einstellen und die Beziehung zum Mittelpunkt des eigenen Lebens machen, haben Bindungsängste (nur etwas andere als Sie).
Ich denke, dass es bei jedem Menschen irgendwo einen Punkt gibt, wo er oder sie sagt: Wenn eine Beziehung mir zu große Opfer und Kompromisse abverlangt, dann bekomme ich Angst und möchte weglaufen. Eigentlich ist das als Selbstschutz auch ganz gut so! Schließlich wollen wir uns in einer Beziehung wohlfühlen und uns nicht verbiegen oder selbst aufgeben!
Bei dem einen ist die Kompromissbereitschaft größer, beim anderen geringer. Aber letztlich geht es immer darum, sich die kleinen und großen Entscheidungen, die in einer Beziehung anstehen, genau anzuschauen und dabei im Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu bleiben. Genau diese Gefühle können Ihnen dabei helfen, mit Ihrer Freundin Entscheidungen zu treffen, die für Sie beide stimmig sind.
Bezüglich Ihrer letzten Beziehung hört es sich so an, als wenn Sie nicht viel zu sagen hatten und Ihre Freundin Ihnen ihre eigene Vorstellung von einer Beziehung übergestülpt hat. Sie hat die Wohnung so eingerichtet, wie es ihr gefiel, hat Regeln aufgestellt, die ihr passten, hat Besuch eingeladen, der ihr gefiel und dazu noch kontrolliert, wie viel Zeit Sie mit ihr verbringen sollten.
Sie sind sozusagen ein gebranntes Kind, und das hat Ihre Bindungsängste verstärkt. Haben Sie sich damals dagegen gewehrt und klar benannt, dass Sie es anders haben wollten?
Wenn Sie es nicht getan und Ihre Gefühle runtergeschluckt haben, hat sich offensichtlich die Wut, der Ärger, den Sie gebraucht hätten, um sich abzugrenzen und sich durchzusetzen, in Angst und Hilflosigkeit verwandelt. Das tragen Sie jetzt mit sich herum und es belastet sie, wenn Sie an das Zusammenziehen mit Ihrer jetzigen Freundin denken. Das ist eine ziemliche Altlast!
Mein Vorschlag wäre, dass Sie sich nicht für Ihre Bindungsängste schämen oder versuchen, diese loszuwerden. Das wird sowieso nicht klappen. Gefühle, die man ignoriert, machen einem auf lange Sicht meistens viel mehr Ärger. Begrüßen Sie die Bindungsängste doch mal und fragen, was diese Ihnen zu sagen haben! In Ansätzen haben Sie es ja schon getan: Sie haben sich die Angst eingestanden, dass Sie sich wieder ein Stück weit aufgeben müssen und Dinge ertragen müssen, die Ihnen nicht gefallen. Zum Beispiel einen alten, stinkenden Mops in Ihrem Bett zu dulden.
Als nächsten Schritt würde ich Ihnen empfehlen, Ihre Ängste sehr ernst zu nehmen und als einen skeptischen Anteil von Ihnen selbst zu betrachten. Es gibt in Ihrem inneren Team ja auch noch andere Anteile, z.B. den Teil, der Ihre Freundin liebt und sich auf eine Zukunft mit ihr freut. Was für Anteile können Sie noch identifizieren, wenn Sie an die gemeinsame Wohnung denken? All diese Anteile von Ihnen können Sie an einen Tisch bitten und zu Wort kommen lassen. Das können Sie gerne auch für sich aufschreiben.
Der skeptische, ängstliche Teil hat schon mal erlebt, dass Sie untergebuttert wurden, und das möchte er auf keinen Fall wieder erleben. Das ist eine sehr wertvolle Botschaft! Wie wäre es, wenn Sie diesem Teil fest versprechen, dass Sie in Zukunft ansprechen, wenn Ihnen etwas nicht gefällt und dafür sorgen, dass alle Lösungen und Regeln in Ihrer Beziehung für Sie tragbar sind?
Zwei empfehlenswerte Bücher:
Oskar Holzberg, "Liebe kennt keine Regeln. Eine Beziehung schon", Verlag Herder
Stefanie Stahl,"Jeder ist beziehungsfähig. Der goldene Weg zwischen Freiheit und Nähe", Kailash
Am besten fangen Sie schon jetzt, drei Monate vor dem Umzug, damit an und sprechen im Detail über das, was Ihnen wichtig ist. Wenn Sie in der Theorie keine Lösungen finden, wird es in der Praxis, also im Zusammenleben, wahrscheinlich noch schwieriger. Das wäre eine rote Flagge, die Ihnen zeigt, dass die gemeinsame Wohnung nicht stimmig ist.
Sprechen Sie doch auch über Ihre Zweifel, die den Hund betreffen und fragen, ob Sie eine Einigung finden können (Kein Hund im Bett und auf dem Sofa) Und dann gehen Sie mal einen gedanklichen Schritt weiter und stellen sich vor, dass jeder noch so kleine Punkt in Ihrer Beziehung gemeinsam besprochen wird.
Einige Beispiele:
Wie und wo kann man sich in der Wohnung zurückziehen?
Darf jeder auch mal alleine in der Wohnung sein, z.B. ein Wochenende, und wie wird das geplant?
Wie viele Abende in der Woche möchten Sie wirklich miteinander verbringen und wie wird das geplant? Und wie viele Abende hat jeder zur freien Verfügung?
Welche Aufgaben im Haushalt übernimmt jeder? Wird grundsätzlich für beide gekocht und eingekauft oder hat jeder auch Freiraum (wie z.B. in einer WG)?
Gibt es Bereiche in der Wohnung, die nur für einen von Ihnen sind? Oder zumindest an einem bestimmten Zeitraum nur für einen? (Z.B.: Ich habe morgen Abend das Wohnzimmer, weil ein Freund kommt / Ich bin Dienstag und Donnerstag im Arbeitszimmer im Home-Office ...)
Wie werden Entscheidungen über Möbel/Freizeitaktivitäten/Urlaub getroffen?
Gibt es so etwas wie Tabus oder Verbote im Zusammenleben?
Stellen Sie sich doch einmal vor, dass Sie jeden einzelnen Punkt in Ihrer Beziehung mit Ihrer Freundin besprechen und immer versuchen, Lösungen zu finden, mit denen beide einverstanden sind. Das betrifft die grundsätzlichen Regeln (siehe oben), aber auch jede einzelne Situation, in der etwas momentan für einen nicht stimmt. Dabei sind passende Grenzen und die Bewahrung von Autonomie wichtige Themen, die geklärt werden müssen. Nur wer in einer Beziehung auch Autonomie und Freiheit erlebt, kann seine Bindungsängste verringern.
Wie viel Angst hätten Sie vor dem Zusammenleben oder vor dem Scheitern des Zusammenlebens, wenn Sie konsequent nach dem Mantra "Ich spreche alles an" leben würden? Wenn Sie also nichts mehr schlucken, sondern alles freundlich ansprechen und mit Ihrer Freundin nach Lösungen suchen? Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, Ihre Ängste etwas besser anzunehmen und Sie als Ratgeber zu nutzen. Dann brauchen Sie auch nicht mehr so viele Dinge zu ertragen, die Ihnen Angst machen.
Und noch ein Tipp: Wenn Sie merken, dass Sie wirklich nicht mit Ihrer Freundin zusammenziehen möchten, können Sie auch Nein sagen. Lassen Sie sich diese Möglichkeit offen. Denn nur wer Nein sagen kann, kann auch wirklich Ja sagen.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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