Integration : Mit erwachsenen Migrantinnen auf einem Fahrrad-Übungsplatz in Hamburg
Migrantinnen können häufig nicht Fahrrad fahren. Ein Kurs in Hamburg hilft ihnen, aufzusteigen – und nebenbei kommt so auch ihr Deutsch ins Rollen.
Azam zupft ihr Kopftuch zurecht und läuft auf ihre Kursleiterin zu, mit einem Strahlen in den Augen. Dann fällt sie Binnur Urkal in die Arme, hält sie lange fest und sagt zaghaft: "Danke. Ich liebe dich."Es sind die ersten Worte, die Azam heute im Kurs spricht. Mit flatternden Händen holt sie ihr Handy aus der Tasche, hält es Urkal hin und bittet zu filmen, was sie in den vergangenen fünf Tagen gelernt hat: Fahrrad fahren. Mit 45.
Mehrere Hunderttausend Erwachsene in Deutschland können sich nicht auf zwei Rädern fortbewegen, so schätzt der Radlerverband ADFC. Besonders in den Herkunftsländern von Migrantinnen gehört es nicht zum Alltag. Trainerin Binnur Urkal hat bereits mit vielen Frauen über die Gründe gesprochen: "Im Iran und in Saudi-Arabien zum Beispiel ist es ihnen oft verboten. Fahrradfahren ist dort Männersache, die Frauen sollen ihren Pflichten nachgehen."
Doch hierzulande, auf dem Weg zum Job, zum Arzt, zum Deutschkurs, ist das Fahrrad ein zügiges und günstiges Verkehrsmittel. Wer es aber als Kind nicht gelernt hat, tut sich im Erwachsenenalter schwer. Einfach aufzusteigen ist unmöglich, nicht aber das Erlernen, Schritt für Schritt mit professioneller Anleitung. Der Hamburger Sportklub Urania bietet Kurse speziell für Frauen an. 48 Euro kostet es ermäßigt für sieben Tage, 15 Euro für Frauen mit einer Duldung.
Binnur Urkal leitet die Kurse seit vielen Jahren: "Am Anfang sieht es aus, als würde es niemals etwas werden", sagt sie. "Ehrlich, sie können sich kaum auf den Rollern halten, mit denen wir beginnen."Diese sollen zunächst das Gleichgewicht schulen, das Lenken und Bremsen. Erst wenn die Frauen damit sicher umgehen, holt Binnur die Fahrräder aus dem Holzschuppen.
Sprache lernen beim Fahrradkurs
Bei Azam ist der Durchbruch lange nicht in Sicht. Während an Tag fünf schon einige Frauen in die Pedale treten, hängt sie noch immer bei den Vorübungen fest. Mit angestrengtem Blick sitzt sie auf dem kleinen Klapprad und stößt sich mit dem Fuß ab, um es ins Rollen zu bringen. Nun soll sie gleiten und die Balance halten. Doch mehr als ein paar Zentimeter bewegen sich die Räder nicht, ehe sie wackelig wieder mit den Füßen nachhilft. Dann, nach einer Stunde, platzt bei ihr der Knoten: Azam fährt Rad. Unterdessen und laut lachend stoßen die anderen zusammen. Bremsen klappt noch nicht. Binnur sagt: Pause.
"Für Frauen, die noch nie in ihrem Leben etwas mit Sport zu tun hatten, ist es besonders schwer", erzählt sie. Die 39-jährige Friseurin ist schon lange Mitglied im SC Urania. Dann kam das Angebot einer Ausbildung zur Fahrradlehrerin. "Ich habe Spaß dabei, rede gern mit den Frauen und erfahre ihre Geschichten."Auch das sei ein wichtiger Bestandteil des Kurses. "Die Frauen kommen aus verschiedenen Nationen, üben hier Deutsch, quatschen, machen Sport und lernen dabei."Eine Teilnehmerin sei in diesem Jahr zum dritten Mal im Kurs – obwohl sie es schon beim ersten Mal gelernt hat. Sie wolle einfach reden und mit den anderen Frauen Fahrrad fahren.
Auch Teilnehmerin Naomi scheint die Fröhlichkeit im Fahrradkurs zu genießen. Die gebürtige Nigerianerin ist selbstbewusst, trägt grellen lila Lippenstift. In ihrer Heimat habe sie das Fahren nicht lernen können: "Ich bin in der Stadt aufgewachsen. Es gibt dort keine Fahrradwege, die Straßen sind schlecht und voll."Radeln ist dort lebensgefährlich. Ob sie nichts Besseres zu tun hätte, habe ihre Schwester sie gefragt. Da winkt sie nur ab. Sie wolle das Fahrradfahren vor allem wegen ihrer Tochter lernen: "Sie ist sechs. Klar, sie kann es, hat es einfach selbst gelernt", sagt Naomi. "Ich will endlich mithalten können."
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