Heimliche Video-Aufnahmen: Vizekanzler Strache tritt zurück
Nach den Enthüllungen um mutmaßlich in Aussicht gestellte Staatsaufträge als Gegenleistung für Wahlkampfhilfe ist Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zurückgetreten. „Es war dumm, unverantwortlich und ein Fehler“, räumte Strache ein. Auch sein Amt als FPÖ-Chef werde er abgeben.
WIEN. Nach den Enthüllungen um mutmaßlich in Aussicht gestellte Staatsaufträge als Gegenleistung für Wahlkampfhilfe ist Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zurückgetreten.
Die beiden Lockvögel seien an Johann Gudenus herangetreten und gaben sich vor, sich nach dem Tod dessen Vaters für ein Jagdgebiet der Familie Gudenus zu interessieren. Strache habe die angebliche Oligarchen-Nichte nur ein einziges Mal gesehen: in der Finka auf Ibiza. Dort sei er auf illegale Weise, durch geheimdienstliche Methoden abgehört worden. Strache sprach von einem „gezielten politischen Attentat“.
Er bat um „Entschuldigung bei all jenen, die er mit seinen Äußerungen in Mißkredit gebracht“ habe. Er habe sich „prahlerisch wie ein Teenager verhalten“. Er habe damit die „wichtigsten Menschen“ in seinem Leben verletzt. „Es war dumm, unverantwortlich und ein Fehler“, räumte Strache ein.
Er erinnerte in seiner Erklärung auch an die bislang erfolgten Schritte der schwarz-blauen Regierung in Wien. Er werde in seiner Verantwortung gegenüber seines Amtes zurücktreten. Auch sein Amt als FPÖ-Chef lege er nieder. Sein Nachfolger soll Verkehrsminister Norbert Hofer werden. Auch FPÖ-Fraktionschef im Nationalrat, Johann Gudenus, ist zurückgetreten.
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte für 14 Uhr eine Erklärung an.
Falle für FPÖ-Politiker?
Am Freitag abend berichteten die Süddeutsche Zeitung sowie der Spiegel über ein mehrstündiges Video, das Ende Juli 2017 in einer Villa auf Ibiza aufgenommen worden sein soll. Auf den heimlich gedrehten Videoaufnahmen sind der heutige Vizekanzler Strache sowie FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus zu sehen. Die beiden Politiker bieten einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte Geschäfte an, falls sie der FPÖ zum Wahlsieg verhilft.
In dem Video behauptet die als Aljona Makarowa vorgestellte Frau, mehrere hundert Millionen Euro offenbar russischen Schwarzgeldes in Österreich investieren zu wollen. In dem Gespräch erwogen die Beteiligten, die größte österreichische Zeitung, die Kronen-Zeitung, anteilig zu übernehmen. „Wenn sie die Kronen-Zeitung übernimmt drei Wochen vor der Wahl und uns zum Platz eins bringt, dann können wir über alles reden“, sagt Strache.
Laut den beiden Blättern handelt es sich bei der Frau um einen Lockvogel, der die FPÖ-Politiker bei dem Treffen in eine Falle gelockt habe. Wer dahintersteckt, warum das belastende Video hergestellt und in den vergangenen Wochen an die Medien weitergeleitet haben, war zunächst unklar. Nicht näher genannte Geheimdienstmitarbeiter vermuten auf Anfrage der Zeitung Die Presse, ein westlicher Geheimdienst stecke hinter der Inszenierung.
Strache stellte der Frau öffentliche Aufträge im Straßenbau in Aussicht, falls sie seiner Partei bei der Nationalratswahl im Oktober 2017 zum Erfolg verhelfe. „Dann soll sie eine Firma wie die Strabag gründen. Alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann.“ Strabag ist eines der größten Bauunternehmen Europas mit Sitz in Österreich. „Das erste in einer Regierungsbeteiligung, was ich heute zusagen kann: Der Haselsteiner kriegt keine Aufträge mehr!“ Damit ist offenbar Hans Peter Haselsteiner gemeint, der langjährige Vorstandsvorsitzende und Miteigentümer des Bauunternehmens.
Außerdem sprachen Strache und Gudenus bei dem Treffen den Berichten zufolge auch von einem mutmaßlich illegalen System der Parteienfinanzierung. „Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen“, erklärt Strache auf den Aufnahmen. Das Geld fließe aber nicht direkt in die FPÖ, sondern an einen Verein.
„Der Verein ist gemeinnützig, der hat auch nichts mit der Partei zu tun. Dadurch hast du keine Meldungen an den Rechnungshof.“ Unter anderem hätten Waffenfabrikant Gaston Glock, die deutsche Milliardärin Heidi Goëss-Horten, der Tiroler Immobilienunternehmer René Benko und der Glücksspielkonzern Novomatic bereits gezahlt. Diese Personen dementierten auf Anfrage der beiden Redaktionen, weder direkt noch indirekt an die FPÖ gespendet zu haben. In dem Video betont Strache den Angaben nach jedoch mehrfach, er werde nichts Illegales tun.
Strache und Gudenus bestätigen Treffen
Die beiden Politiker bestätigten das Treffen auf Ibiza. Es sei „ein rein privates“ Treffen in „lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre“ gewesen, teilte Strache demnach mit. „Auf die relevanten gesetzlichen Bestimmungen und die Notwendigkeit der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung wurde von mir in diesem Gespräch bei allen Themen mehrmals hingewiesen.“ Das gelte auch für „allenfalls in Aussicht gestellte Parteispenden bzw. Spenden an gemeinnützige Vereine im Sinne der jeweiligen Vereinsstatuten.
Wie die Zeitung Österreich berichtet, gibt es in der ÖVP bereits Forderungen nach einem Rücktritt Straches und Gudenus. Andernfalls werde die Koalition platzen. Kurz habe sich bis spät in die Nacht mit seinen engsten Vertrauten beraten. Auch die FPÖ-Spitze traf sich demnach zu einer Krisensitzung. Einige FPÖ-Spitzenfunktionäre sollen demnach gefordert haben, Strache solle zurücktreten und Verkehrsminister Norbert Hofer das Vizekanzleramt einnehmen. Die Zeitung Der Standard berichtet unter Berufung auf Regierungskreise, es werde vor Mittag wohl noch ein Gespräch zwischen Kurz und Strache geben.
Live-Statement vorhin auf Facebook: @sebastiankurz ist am Zug. Er hat die Entscheidung getroffen. Für diese Koalition, vor der wir immer gewarnt haben. Er hat die Verantwortung. Er muss morgen zum Bundespräsidenten gehen und die Entlassung des Vizekanzlers in die Wege leiten. pic.twitter.com/GxCJQDtmes
— Pamela Rendi-Wagner (@rendiwagner) May 17, 2019
Österreichs Opposition fordert die Auflösung der Regierungskoalition und Neuwahlen. Sowohl SPÖ- als auch Neos- und Grünen-Politiker äußerten sich in sozialen Medien. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sprach von einem „Weg in die illiberale Demokratie“. Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger sprach sich für Neuwahlen aus. Der Grünen-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Werner Kogler, kritisierte zudem FPÖ-Generalsekretär und FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky. Er müsse von den Spendenpraktiken gewußt haben und solle alle Einnahmen und Wahlkampffinanzierungen offenlegen. (ls)
>Diese Meldung wird fortlaufend aktualisiert …