Neue Kunsthalle wird eröffnet: Kreatives Kraftwerk für Mannheims urbane Zukunft
Von Heribert Vogt
Mannheim. Vibrierende Spannung bei der öffentlichen Vorstellung der neuen Kunsthalle Mannheim, die am Freitag mit dem "Grand Opening" und einer Ausstellung des Fotokünstlers Jeff Wall an den Start geht. Draußen ist schönstes Sonnenwetter, helles Licht durchströmt den innen ganz in Weiß gehaltenen Neubau und bringt die wunderbaren Sichtachsen auf den benachbarten Wasserturm oder die City zum Leuchten.
Im 22 Meter hohen und zentralen Lichtatrium steht Kunsthallendirektorin Ulrike Lorenz unter Strom und bezeichnet die Eröffnung des modernen Hauses als "historischen Moment". Vor allem soll das Kunstmuseum alles andere als "museal" sein. Vielmehr soll die neue Kunsthalle ein kreatives Kraftwerk der urbanen Zukunft Mannheims sein.
Diesem Ziel dient bereits die mit dem großstädtischen Umfeld verfließende äußere Architektur des neuen Gebäudes, die ihren spektakulären Auftritt an "Mannheims schönstem Platz" hat. Die innere Struktur des Hauses bezeichnet Lorenz sogar als "Stadt in der Stadt".
Um das Atrium gruppieren sich auf drei Ebenen sieben Ausstellungshäuser, die über Treppen, Brücken und Terrassen verbunden sind. Barrierefrei wird das Publikum in die kulturelle Stadtlandschaft hineingezogen, wo es durch das magische Geflecht von Kunst, Architektur und Stadt flanieren kann. Für Wirtschafts- und Kulturbürgermeister Michael Grötsch avanciert die Kunsthalle mit ihrer Wiedereröffnung "zu einem unverzichtbaren Leuchtturm der Metropolregion Rhein-Neckar".
Aber die Vernetzungen in der Kunsthalle dringen noch viel weiter in die Gesellschaft vor, wie die Direktorin mit ihren engagierten fünf Thesen zum Kunstmuseum der Zukunft darlegte. Deren erste besagt, dass dieses Kunstmuseum mitten in der Gesellschaft liegt. Es bietet sich als sozialer Frei-Raum an, der von Kuratoren, Künstlern und Publikum gemeinsam gestaltet wird. Zudem ergreift das Museum die Chancen des digitalen Zeitalters, um sich neue Wirkungsräume zu schaffen. Neben das akademische Wissen treten individuelle Zugangsweisen und Deutungen. Auch reflektiert das Museum von heute seine Geschichte.
Dann sollen im Kunstmuseum - laut Lorenz - die Werke zu neuem Leben erwachen und ihr volles Befremdungs- und Fremdheitspotenzial entfalten: Denn der kulturelle Paradigmenwechsel infolge der Globalisierung und des Wandels der urbanen Lebenswelten verschiebt die Funktion des Museums von der Identitätsstiftung hin zur "Fremdheitsvermittlung" (Peter Sloterdijk) - und damit zur Orientierung im Fremden. Nicht zuletzt versteht sich das aktuelle Kunstmuseum als politisch: Es greift in die Gesellschaft ein und übernimmt Verantwortung für die Zukunft der Demokratie.
Und Lorenz konstatiert: "Die Kunsthalle Mannheim ist ein besonderer Ort, der sich fundamental vom alten Typus des Museums unterscheidet. Denn wir sind offen für alle und knüpfen in unseren Sammlungsinszenierungen, Ausstellungen und im Programm direkt an den Alltag der Menschen an. Auf dem Fundament der demokratischen Gründungsmaximen des Museums öffnen wir uns der Gesellschaft von heute."
Von zentraler Bedeutung ist die "Digitale Strategie": "Für das Publikum der Zukunft, das ein jüngeres, dynamisches Publikum sein wird, nutzen wir neue Kommunikationskanäle." Es soll Kreativität entzündet werden.
Von nichts Geringerem als der digitalen "Revolution" ist hier die Rede. Realisiert wird die zugrunde liegende Strategie vom Stuttgarter Kreativteam "Klangerfinder" als Generalunternehmer. Herzstück ist die Collection Wall im kostenfrei zugänglichen Atrium. Sie setzt sich aus 16 großen Monitoren zusammen, die wie eine Plakatwand im urbanen Raum wirken und mit innovativer Gestenfunktion versehen sind. Die Wall ermöglicht den Besuchern einen erforschenden, ästhetisch hochwertigen Zugang zur Kunstsammlung, derzeit sind über 1100 Kunstwerke abrufbar.
Die Multimedia-Guide App ermöglicht es den Interessierten, sich sieben mediale Führungen auf das Smartphone zu laden und sich damit durch das Museum geleiten zu lassen: Dabei können Informationen zu den ausgestellten 742 Kunstwerken - sowie einige Überraschungen - aufgerufen werden. Die App interagiert mit der Collection Wall, später auch mit dem persönlichen Museumskatalog, der in Kürze realisiert werden soll. Schließlich macht ein interaktiver Graphiktisch die Graphische Sammlung zugänglich. Hier können aktuell 406 Arbeiten betrachtet werden.
Passend zur urban-weltoffenen Ausrichtung der Kunsthalle nimmt sich auch die erste Sonderausstellung "Jeff Wall. Appearance" aus. Die Schau des kanadischen Pioniers der Fotokunst wird ebenfalls mit dem "Grand Opening" eröffnet. Daran nehmen neben Jeff Wall und Kunstministerin Theresia Bauer als Ehrengäste auch die Tochter des Gründungsdirektors Fritz Wichert aus New York sowie Angehörige von Mannheimer jüdischen Sammlerfamilien teil, welche die Kunsthalle förderten.
Jeff Wall (Jahrgang 1946) hat in den 1970er Jahren mit großformatigen Fotografien in Leuchtkästen seinen Ruhm begründet und den Blick auf die Fotografie als Kunst erneuert. In fünf Räumen mit knapp 1000 Quadratmetern widmet sich die Schau zentralen Elementen seines Werks vor allem aus den letzten zwanzig Jahren. Dazu zählen das Rätselhafte und Groteske, die Bild-im-Bild-Beziehungen, zudem Menschen im Interieur, Sprache und Geste sowie Rollenspiel und Interaktionen.
Wall zählt zu den bedeutendsten Vertretern zeitgenössischer Fotografie als Kunst. Die leuchtenden, atmosphärisch dichten Bilder faszinieren, weil sie das Alltägliche geheimnisvoll erscheinen lassen und die Wahrnehmung der Umwelt wie des Selbst vor Augen führen.
Ausgangspunkt der von Sebastian Baden kuratierten und in Kooperation mit dem Luxemburger Kunstmuseum Mudam entstandenen Ausstellung war Walls Werk "Search of Premises" (2009), das die Spurensuche und die Beweisaufnahme an einem Tatort zeigt. Mit "Picture for Women" (1979) wird ein wichtiges Frühwerk präsentiert, das die fotografische Selbstbeobachtung Walls als Ursprung seines Schaffens deutlich macht.
Abgerundet wird die Schau mit neuen Werken, die Szenen der Kostümierung und Maskierung zeigen, was auf die inszenierende Praxis Walls verweist - wie etwa bei "Mask Maker" (2015) oder "Changing Room" (2014).
Während der Vorstellung des Neubaus freute sich auch Manfred Fuchs, Vorsitzender der Stiftung Mannheimer Kunsthalle, dass das Gesamtbudget von 68,3 Millionen Euro eingehalten werden konnte. Es gelte jedoch, das Haus auch in Zukunft "nachhaltig zu begleiten".
Seit der Übergabe des Neubaus an die Stadt Mannheim im Dezember 2017 wurden nun 5700 Quadratmeter Ausstellungsfläche eingerichtet. Auf den insgesamt ca. 13.000 Quadratmetern Nutzfläche zeigt die Kunsthalle ihr Konzept als "Museum in Bewegung".
Info: "Grand Opening" am Freitag um 18 Uhr. Am Wochenende freier Eintritt. Ausstellung "Jeff Wall. Appearance" bis 9.9. Großformatiger Katalog (Edition Cantz Esslingen); 142 S., 30 Abb.; 29,80 Euro.