RNV-Streik in Dossenheim: Viele Wege führen in die Stadt - trotz Streik
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Von Benjamin Miltner
Dossenheim. Um 7.20 Uhr ist in Dossenheim am OEG-Bahnhof normalerweise Hauptverkehrszeit. An Werktagen ist hier alles voll mit Schülern, Studenten und Arbeitnehmern, die zum Gleis eilen oder auf das Verkehrsmittel ihrer Wahlwarten: die Straßenbahn. Anders am gestrigen Mittwoch. Es ist Streiktag. Die Beschäftigten der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV) folgen dem Aufruf der Gewerkschaft Verdi. Soll heißen: Keine Linie 5 oder 24, die die Massen nach Mannheim, Schriesheim und vor allem Heidelberg befördert. Bricht in der Bergstraßengemeinde also Chaos aus?
Fehlanzeige. An der zentralen der drei Haltestellen in Dossenheim herrscht tote Hose - zumindest direkt an den Gleisen. Drumherum ist dagegen eine Menge los. Massenhaft Fahrradfahrer, vor allem Schüler, bahnen sich ihren Weg. Die B 3 ist früh dicht. Um 7.30 Uhr stehen die Autos Richtung Heidelberg im ersten Stau. Kurzum: Die meisten Bahnfahrer aus der 12.500- Seelen-Gemeinde sind umgestiegen vom öffentlichen Nahverkehr hin zu Individuallösungen.
So wie Barbara Kadzielawa. Die Linie 5 bringt die Managerin eines Fitnessstudios meist zu ihrer Arbeit nach Viernheim. "Heute fährt mich mein Bruder", sagt sie und schlürft ihren Kaffee. Für die Streikenden hat sie Verständnis: "Die sollen mehr Geld verdienen", sagt Kadzielawa. Als ehemalige Krankenschwester weiß sie nur zu gut, wie hart manche Menschen für vergleichsweise wenig Geld arbeiten. Auch Ksenia Kirilova hat Glück: Heute ist ihr Freund ihr Privatchauffeur. Der kommt extra aus Heidelberg gefahren, gabelt die Russin am OEG-Bahnhof auf und nimmt sie mit zum Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL), wo sie als Trainee arbeitet.
Der Weg zurück in die Stadt ist aber mühsam. Denn es ist mittlerweile 8.15 Uhr - Zeit für die zweite Stauwelle des Tages. Die Blechlawine reicht bis an den Kreisel am Ortsausgang nach Schriesheim. Die Gesichter in den Autos wirken gestresst, die Fahrer tippen nervös auf ihrem Lenkrad oder fluchen vor sich hin. Um diese Zeit ist Warten hier Alltag - die Schlange aber länger als sonst. Das bestätigt auch die Mitarbeiterin an der Jet-Tankstelle. "Die B 3 ist voller und es sind auch viel mehr Radfahrer unterwegs", so ihr Eindruck. Der Betrieb an der Tankstelle sei eher normal. "Es ist ruhiger als sonst", heißt es dagegen in der Bäckerei Mantei am OEG-Bahnhof.
Derweil mischen sich immer mehr Passanten zwischen die gewohnt zahlreichen Radler auf dem Weg entlang der Bundesstraße nach Heidelberg. Auch Lehramtsstudent Daniel ist zu Fuß unterwegs zur Pädagogischen Hochschule (PH). "Alles halb so wild, vor allem bei dem schönen Wetter", gewinnt er seinem morgendlichen Spaziergang etwas Positives ab.
Von hilflosen Kindern ist keine Spur. Die Schüler sind gut informiert, Lehrer, Eltern und die sozialen Medien scheinen gute Arbeit geleistet zu haben. Die Jugendlichen nutzen den Bahnhof als Treffpunkt zum gemeinsamen Radeln, telefonieren sich zusammen; "Max, wir warten schon an der Haltestelle auf Dich", ruft ein Junge aufgeregt in das Smartphone. Sein Freund am anderen Ende der Leitung ist einer der Pendler, die heute ausnahmsweise auf ein Drahtesel steigen.
Und es gibt sie doch, die Nichtsahnenden. Immer wieder nähern sich Erwachsene dem Bahnsteig, starren verdutzt auf die digitale Anzeige, auf der steht: "Achtung: Streik". Auch Alexander Kogen hat es kalt erwischt. Mit der Arbeitstasche in der Hand staunt der Informatiker ungläubig. Er wisse nichts vom dem Streik und noch weniger, wie er nach Mannheim kommen soll. Was nun? Kogen macht kehrt, läuft nach Hause und ruft seinen Chef an. Ähnlich ergeht es Medizinstudent Maximilian Wunsch. Müden Schrittes erreicht er die Gleise. Umso wacher ist er, als er feststellt, dass ihn die Bahn heute nicht zur Universität bringt. "Ich muss zu meinem Fahrrad", ruft er und rennt davon.
Juno George hat es da einfacher: Der Ingenieur wurde zwar ebenfalls vom Streik überrascht. Sorgen, wie er nun zur Arbeit nach Wieblingen kommt, hat er aber keine. Seine Lösung: "Ich werde von zu Hause arbeiten." So einfach kann es sein - die moderne Arbeitswelt hat eben auch ihre Vorteile.